Hella Boos

Textil


Hella Boos (1930 – 2019)

Meine Mutter Hella Boos (2019 mit 89 Jahren verstorben) begleitete meinen Vater Gustav Boos (verstorben 2018) seit Mitte der Fünfziger Jahre bis zu seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst im Jahr 1989 bei seinen Auslandsposten. Mitte der Sechziger Jahre begann sie in London, zunächst als Autodidaktin, dann als Schülerin des Exil-Künstlers Helmut Weissenborn, mit ihrer abstrakten Malerei. Sie beteiligte sich zunächst an Gruppenausstellungen, bald kamen einige Einzelausstellungen dazu. 1973 wurde sie Mitglied der Londoner Association of Free Painters and Sculptors.

Von Anfang an waren die Arbeiten meiner Mutter experimentell angelegt, bei ihrem ersten Bild nutzte sie das, was sie gerade im Haus hatte: Wandfarbe, Autolack und Lackreste. Bald kamen Fundstücke – Seidenpapier, Federn, Acrylelemente, Metallfäden und Textilreste – dazu. Künstlerisch war meine Mutter stets unterwegs im Ausloten und Überschreiten von Grenzen. Bilder wuchsen in drei Dimensionen aus dem Bild heraus, Materialien wurden neu kombiniert, Zufallsfunde integriert – Fundstücke – hart und weich, Glas und Holz, Papier, Seide, Späne, Farbe, Seide und Federn. Ihre Hinterglastechnik, mit der sie Collagen hinter Glasplatten vom Vorder- zum Hintergrund „rückwärts“ aufbaute, war Mitte der Sechziger in dieser Form völlig neu und unbekannt.

Nach einer längeren Pause, in der sie Fertigkeiten in verschiedenen traditionellen Handarbeitstechniken erwarb – Filzen, Patchwork, Häkeln, Sticken – nahm sie die künstlerische Arbeit wieder auf. Mit inzwischen über siebzig Jahren übertrug sie ihre dynamischen und kraftvollen abstrakten Gebilde auf kleine Formate. Sie nutzte die Filztechnik, um Collagen aus Wolle, Seide, Metallfäden und Papier auf Filzplatten und andere textile Untergrunde aufzutragen und einzufilzen. So nahm sie die Energie ihrer früheren Arbeiten in kleinerer Form wieder auf, als abstrakte Textilbilder, die nichts an der Frische ihres früheren Werks einbüßten.

Noch in den letzten Monaten vor ihrem Tod entwickelte Hella Boos eine ganz neue Technik, die „digitale Collage“, bei der sie ihre Fundstücke – Bänder, Wolle, Papierreste – mit dem iPad fotografierte und digital bearbeitete, zum Teil mit zwei iPads, indem sie reale Materialien auf ein iPad Display legte und mit dem anderen fotografierte, so dass vielschichtige Arbeiten entstanden, bei denen nicht mehr zu unterscheiden war, was nun „analog“ und was „digital“ war. Auch eine innovative Art, Grenzen zu überschreiten und verwischen. Diese Arbeiten existieren natürlich nur virtuell auf ihren zwei iPad Tablets.

Meine Mutter selbst sprach nicht gerne über ihre Arbeiten und was sie für sie bedeuteten. Ich aber bin der Ansicht, dass sie ein vorbildliches Beispiel dafür ist, wie sehr Kreativität und Experimentierfreude bis ins hohe Alter künstlerische Werke voller Energie und geschaffen in einer universellen Sprache ermöglichen.

Susanne Schwerin von Krosigk